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Channel: Kommentare zu: ‚der katatone Held, der über die Gelassenheit hinaus ist’ (S. 203)
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Von: achim szepanski

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Es bieten sich weitere Anschlüsse an die durchaus spannenden Seiten 1292- 1295 an. Die Horizontalität, in der sich Hal plötzlich befindet, ist das Resultat einer Panikattacke, bei der offensichtlich die Deiche brechen und in der Konfusion eine potentiell positive Ladung (nichts konnte mich umhauen) die Intuition erzeugt, dass Hal so etwas wie das lebendige Fundament seiner eigenen Krise ist. Die panische Erfahrung der Welt ist bisweilen eine Technik, um das Risko der Desintergration einzugehen, unter Berücksichtigung, wenn nichts mehr zu erwarten,nichts mehr zu verlieren ist. Die besondere Sensibilität für Möglichkeiten des Zusammenbruchs und für die extreme Fragilität des Stehens und des Rennens, der Vertikalität, impliziert in dieser Situation die Umkehrung des heiteren Verhältnisses der Flucht nach vorn oder des in den Aktivismus, wie sie die kybernetische Hypothese pflegt, die die Panik als Zustandsveränderung eines selbstregulierenden Systems versteht; hier wird vielmehr die Abweichung zu einer Verweigerung, auf die maschinellen und menschlichen Feedbackschleifen zu reagieren: Ich lasse mich fallen, ich möchte lieber nicht, ich genieße meine Passivität/ Horizontalität gegen die Dispositive des Bildschirmraums. Ich verweigere mich jenem Aktivismus, der den lächerlichen mit Exkrementenund Fleisch gefüllten Dispositiven nicht entkommt, der Technologie des Wahrsagen-Müssens (Hamlet) und der selbstprüfenden Kontrollarbeit. Der letzte Spasmus der prophylaktischen Fokussierung lässt die vorgetragenen Phantasmen als Abwehrfunktionen in einer Art Kurzschluss zur Abklemmung fahren, deren Resultat Hal auf perverse Weise genießt. Weder 0 noch 1 liegt Hal zwischen dem absoluten Dritten und dem absoluten Nichts. Der Titel der Parodie der Alma Mater (hier durchaus im doppelten Sinn zu verstehen) verweist auf den Irrsinn eines x-beliebigen Satzes eines systemischen Kybernetikers, in dem es heißt, dass es die Struktur selbst sei, die fortwährend neue Steuerungsprobleme aufwerfe und daher keineswegs primär Effizienzsicherung hervorbringe, wie eben umgekehrt die Effizienz das Sicherheitsbedürfnis erst erzeuge, welche Kontinuität der Leistungsfähigkeit durch die Einrichtung bestimmter Denk- und Handlungsstrukturen zu garntieren suche. Der natürliche Feind der Sensibilität ist die Effizienz, insbesondere die Effizienz, die sich mit einem Bedürfnis nach Sicherheit konstituiert.
Hals Sensibilität stellt sich in ganz pragmatische Relationen, sein Sensibilitätsgrad ist abhängig davon, wie sehr er in einen Problemzusammenhang verstrickt ist oder sich verstricken lässt, wie sehr er in einem bloßen Funktionieren eines Handlungsablaufs absorbiert wird.
Die horizontale Begegnung Hals mit dem Bildschirmraum ist ein dauerhafter Augenblick, in dem sich bestimmte Intensitäten zeigen (intensive Horizontalität), wobei der Raum ein Territorium ist, der sowohl die Macht als auch die Ohnmacht des Körpers aktualisiert und der sich in Intensitätsdifferenzen aktualisiert, die sie freisetzen (das Kompakt-Fühlen) oder eben auch nicht (Sarkophag). Das Axiom, das hier aufscheint, ist, dass das Sichtbare als Sichtbares einem Horizont nur entspringen kann, wenn sich Nicht-Sichtbare zurückgezogen hat, damit Sichtbares überhaupt gegeben werden kann, oder, um es mit anderen Worten zu sagen, diese Begegnung verweist auf das Gebiet des Nicht-Gesagten, auf das Singuläre des Augenblicks, der als Element der Zeit zugleich aus ihrem Fluß herauspringt, und genau dies qualifiziert ihn als Singularität. Das Herausspringen und das nunc stans korrelieren natürlich miteinander, ansonsten könnte der Hal als Effekt einer Panikattacke nicht in seinem kleinen Sarkophag liegen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Wallace durchaus weiß, dass die Neutralisierung jeder Intensität selber eine Intensivierung ist (intensive Horizontalität), was nichts anderes heißt, dass sich Hal im Moment einer anderen Pulsation als bisher überlässt, die als die Jahre der Vertikalität jegliches Atemholen verhindert haben. Für die anthropologische Genese der Vertikalität ist der Rhythmus, wie Canetti das vorschlägt, wahrscheinlich wichtiger als die Handlung des Stehens. »Der Rhythmus ist ursprünglich ein Rhythmus der Füße. Jeder Mensch geht, und da er auf zwei Beinen geht und mit seinen Füßen abwechselnd am Boden aufschlägt, ensteht, ob er es beabsichtigt oder nicht, ein rhythmisches Geräusch.« Jeder Körper nimmt, insofern er hinkt oder springt, unhaltbare Positionen ein bzw. bringt Rhythmen mit sich, die als Spuren nach Canetti den Ursprung der Schrift bilden. Im Maßstab des Individuellen wie im Maßstab des Makroökonomischen verliert der Körper in der vertikalen Bewegung sein Einheitsgefühl, um sich als potentielle Waffe zu vervielfältigen. »Die Gleichwertigkeit der Teilnehmer verzweigt sich in der Gleichwertigkeit ihrer Glieder. Was immer an einem Menschen beweglich ist, gewinnt sein Eigenleben, jedes Bein, jeder Arm lebt wie für sich allein.« (Canetti) Inwiefern die Eroberung eines dissonanten Tempo im Tennisspiel bei Wallace über die Mathematik und/oder ein Sicheinlassen auf die Improvisation verläuft, wäre zu untersuchen.

S.1292
Die Kehrseite des Phänomens der bedingungslosen Hingabe zeigt sich darin, dass die Menschen vor dem Sog einer gänzlichen Abwesenheit von Eigenschaften (bei einem gleichzeitigen Zuviel an Eigenschaften) bzw. einer grundlegenden Unbestimmtheit zurücksckrecken bzw. die Leere ihrer Umgebung und deren Lücken entweder in sich hineinzuziehen oder mit bestimmten Signifikanten besetzen: Gott, Staat, Topologie etc. Hal hat dafür schließlich die Bemerkung übrig: »Irgendwie war das nett.« Der Witz liegt hier tatsächlich darin, dass nicht nur der Verrückte verrückt ist, der glaubt, er sei ein König, sondern auch der König, der sich wirklich für einen König verhält, da er nicht das kontingent-fiktive Spiel von Kennen und Verkennen durchschaut, das ihm den Thron zuspricht ( vgl. Zizek).
Ergo sind in diesem Panoptikum, in dem sich Hal befindet, so ziemlich alle verrückt, na ja, und nachdem er einige Szenarios durchgespielt hat und von einer zugleich Klarheit und Schatten erzeugenden Panikattacke durchgeschüttelt wurde, kann ihn zumindest beim Liegen nichts mehr umhauen. Der Bildschirmraum wie Hals innerer Wohnraum birgt gerade in diesem Moment nur das Gefühl, gefaltet zu sein, bevor er vielleicht von einem Fall in einen darunterliegenden dunklen Raum mitgerissen wird, als ob er fortwährend in sich selbst hineinstürzt und dabei nicht dichter zusammengesetzt wird, sondern nur noch zerbröckelt. Letztendlich ist seine »Innerlichkeit» allenfalls noch ein Schwellenraum, eine Schwelle und deren je möglichen Überschreitungen. (Hal ist irgendwo auch ein freier Geist, weil er ein leerer Geist ist.) Das mit einem deutlichen Hang zum Zaudern, wobei seine Gleichgültigkeit einer Gelöstheit entspricht, die den Geist trotz aller Wechselfälle und Widrigkeiten reglos bis zur Lähmung werden lässt. Diese Lähmung ist durchaus ein Leiden, das sich widersetzt, die Äußerung des Leidens zu unterlassen, was wiederum eine immer uneingeschränktere Kontrolle der Situation voraussetzen würde, die hier gelingt (die Klarheit der Aufmerksamkeit, die Essbarkeit der Welt) und zugleich mißlingt (der Ekel vor der Essbarkeit).
Und zuletzt zum schwarzen Wunder des Interesses bzw. der Sucht (im Deutschen geht im übrigen Sucht zurück auf das althochdeutsche Wort Sud, und später Seuche). Den Imperativ des Handels und des Überlassens oder Hingebens begleitet quasi wie ein Schatten das Zaudern als Schatten oder Anathema. Vielleicht ist die Gegenfigur zu jenen Personen, die ums Verrecken ihr Leben für etwas hingeben wollen, der Ulrich aus Musils Mann ohne Eigenschaften, der nach Joseph Vogl im Widerstand gegen einen eindeutigen Willen, an eine Schwelle gerät, an der das Handeln wie das Unterlassen gleichermaßen schwierig wird, und vor die Wahl gestellt, vor die Wahl zwischen Wählen und Nicht-Wählen gestellt, bleibt er unklar und unentschieden. Die Aktionsallergie des Hal ist verbunden mit einer Art von literarischer Problematisierung, die ein Feld eröffnet, auf dem die phantastische Genauigkeit (alles hatte zuviel Einzelbilder in der Sekunde) eine spezifische Wahrnehmung erzeugt, die unabgeschlossen und abschließbar beibt, etwas, das in all seine Teile und Komponenten, in seine Umstände etc. auseinandergefaltet wird, flankiert von einem dunstigen Sehen, das Schwarz ergibt, wenn der Schatten gwinnt oder das Licht vergeht. Zumindest verliert sich das freiflottierende Trübsalblasen, nicht unverwandt zur acaedia, dem fieberhaften Müßiggang, bei dem sich eine innere Unruhe mit der Verfolgung bzw. Wahrnehmung verschiedenster Dinge ohne ernsthaften Sinn und Zweck verbindet und vielleicht sogar zu einer Hamletisierung der Welt führt, hier zu einer Krise, einem Sturz von Urteilsystemen, die sich, wie Vogl Musil resümiert hat, vielleicht folgendermaßen deuten lässt: »Mit ihr ( der phantasstischen Arbeit) betrachtet ist die Welt das, was eben nicht der Fall ist, sie offenbart ein Prinzip des fehlenden Grundes».


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